Ein Raum für Gedanken - von Manuela Nagler
Die alten Meister
Die alten Meister

Die alten Meister

Die zwei alten Haflingerstuten begleiten mich nun schon 14 und 10 Jahre.
Inzwischen ist Vroni ist 26 und Rosi 25 Jahre.

Vroni kam zu uns als ich gerade mal 11 Jahre alt war. Mit ihr bin ich aufgewachsen.
Uns verbindet unser gemeinsames Leben, die vielen Jahre zusammen. Nachdem was wir in all dieser Zeit gemeinsam erlebt haben, können wir uns aufeinander verlassen.
Zum Alltag gibt es eigentlich gar keine Worte, alles ist so vertraut und einfach zusammen.


Rosi hat mich dagegen auf eine ganz andere Art geprägt. Sie kam zu mir schwer traumatisiert, über mehrere Besitzerwechsel, aus einer Reitschule.
Sie ist mir völlig unverhofft, ungeplant und als Ebenbild dessen, was ich niemals hätte haben wollen begegnet. Ich habe sie damals gesehen und wusste, dass ich sie mit nach Hause nehmen muss.
Für mich war das DIE LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK.

Ich kam damals aus der ganz konventionellen Art der Reiterei. Ein paar Jahre Reitschule, dann die Pflegepferde die wir kaufen konnten und mit denen wir seit jeher durchs Gelände geritten sind.
Mit Rosi ging dann plötzlich nichts mehr.
Man konnte sie nur schwer führen, sie hat gebissen und das Ausreiten endete irgendwann in einer totalen Verweigerung ihrerseits.
Wenn ich auf die Koppel kam, ist sie vor mir weggelaufen. Das hat mich am Anfang geärgert und dann nur noch traurig gemacht.
Lange Zeit konnte ich Sie und ihre Themen überhaupt nicht wahrnehmen. Ich habe SIE einfach nicht sehen können als das Pferd, was sie ist und wie es ihr wirklich geht.

Ich habe dieses Pferd geliebt und an dem Punkt, an dem nichts mehr ging, habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben auf den Weg gemacht, wirklich etwas zu verändern.
Ich habe Menschen kennengelernt, von denen ich lernen durfte wieder ehrlich Wahrzunehmen.

Das war ein Prozess über viele, viele Jahre. Rosi war dabei meine stetige Begleitung und mein ehrlichster Spiegel – kompromisslos und konsequent.

Auf diesem Weg habe ich auch erleben müssen, dass eine andere Art mit Tieren umzugehen nicht von jedem verstanden und ausgehalten wird.
Die Jahre haben mich Freundschaften und oft auch den Rückhalt von den Menschen um mich herum gekostet.
Die Pferde haben mir aber immer wieder Stärke und einen Antrieb gegeben das auszuhalten und weiterzugehen, weil sie mir gespiegelt haben, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde – auf meinem Weg, den mir nicht andere vorgeben.

Trotz der vielen Erkenntnisse und meiner eigenen Entwicklung blieb noch lange der Wunsch in meinem Kopf, dass ich Rosi “heilen” muss, damit es ihr wirklich gut gehen kann. Die Traumata aus der Vergangenheit müssten doch irgendwie gelöst werden können, damit sie wirklich wieder unbeschwert sein kann, denn die waren in so vielen Momenten im Alltag immer wieder deutlich spürbar.

Es gab viele Versuche auf den verschiedensten Ebenen um ihr helfen zu können, wollte ich sie doch einfach davon befreien.

Ich wollte – aber so ging das nicht. Ein Teil der Mauer um Ihr Herz blieb immer bestehen.

Mit den Jahren und ihrem zunehmenden Alter kamen viele körperliche Probleme auf und es gab die Momente, an denen ich dachte, ich müsste mich von ihr verabschieden.
Das war ein Wendepunkt für mich, denn ab da habe ich begonnen zu begreifen, dass ich ihr einige Dinge wohl niemals abnehmen werden kann.
Vor allem aber auch, dass es alleine Ihre Entscheidung ist, Heilung zuzulassen und nicht meine.
Ich habe akzeptiert, dass es für sie Themen und Dinge gibt die sie nicht mehr aufarbeiten oder tun möchte.

Ich habe dann alle Ausrüstung verkauft, die man so braucht um etwas mit einem Pferd „zu machen“.
Damit hat für mich die Zeit begonnen, ehrlich und bedingungslos mit den Pferden gemeinsam zu Leben.
Einfach genießen zu können, dass sie da sind. Als das was sie sind.
Nichts muss mehr und alles kann. Vor allem muss nichts passieren, was einem andere Menschen als wichtig und richtig für den Umgang und das Leben eines Pferdes erklären wollen.

Gut gemeint, aber nicht richtig platziert, denn die Pferde alleine sagen was und wie sie es brauchen und ich bin heute in der Lage das erkennen und fühlen zu können.

Aus einem Pferd, dass für mich die Herausforderung meines Lebens und Alltags war, ist ein Pferd geworden, dass der Meister meines bisherigen Lebens wurde.

Es geht alles und manchmal nichts, so ist das Leben. Keine konstante, aber immer voller Möglichkeiten.
Möglichkeiten und Grenzen, die wir jeden Tag neu erfahren können.
Das habe ich von Ihr gelernt.

Nichts und niemand anderes hat mich so auf meinen Weg gebracht wie dieses Pferd, dafür bin ich aus tiefstem Herzen unendlich dankbar.

Inzwischen habe ich wieder ein junges Pferd in meinem Leben. Neben all der frischen Energie die mir unheimlich gut tut, erkenne ich gleichzeitig aber auch jeden Tag wieder, wie schön es ist die “alten” Pferde zu haben. Sie sind eine vertraute und verlässliche Konstante.

Die Entwicklung, die ich heute mit dem neuen, jungen Pferd erleben darf, verdanke ich meinem Weg mit den alt gewordenen Pferden. Es ist wie ein Andenken, dass an die „neue Generation“ weitergeben wird und damit auch immer weiter lebt!