Ein Raum für Gedanken - von Manuela Nagler
Die Sache mit dem Selen
Die Sache mit dem Selen

Die Sache mit dem Selen

Das Thema Selenfütterung ist ein viel diskutiertes in der Pferdewelt.
Die einen reden über Selenmangel und daraus folgende, negative Beeinträchtigungen der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Pferde, die anderen sprechen von einer Gefahr durch die Fütterung von Selen, oder sogar Vergiftungen die dadurch ausgelöst werden.

Unter den unendlich vielen verschiedenen Meinungen und Erfahrungsberichten fällt es nicht leicht eine richtige Entscheidung zu treffen, sobald man selbst vor der Frage steht:
Hat mein Pferd ein Pferd einen Selenmangel und muss ich zufüttern, oder besser lieber nicht?

Zweifelsohne ist Selenmangel in den letzten Jahren zu einer Art Trendursache für diverse Probleme geworden.

Fundiertes Hintergrundwissen und das Verstehen von Zusammenhängen helfen dabei eine richtige Entscheidung zu treffen.

Die Aufgaben von Selen im Körper

Selen gehört in die Gruppe der Spurenelemente, wie zum Beispiel auch Kupfer, Zink, Eisen usw. und ist damit an vielen lebenswichtigen Prozessen im Körper beteiligt.
Es dient an vielen Stellen als Cofaktor, also u.a. zum aktivieren und deaktivieren von Stoffwechselvorgängen. Bekannt ist zum Beispiel, dass Selen von Vitamin E im Muskel gebunden wird und dort als Radikalfänger gegen oxidativen Stress funktioniert.
Der Verbrauch erhöht sich massiv, umso mehr Toxine vom Körper entsorgt werden müssen.
So zum Beispiel bei Pferden auch bei der Zufütterung von ungesättigten Fettsäuren wie z.B. Leinöl.

Auch Pferde mit gestörter Darmflora haben einen erhöhten Verbrauch an Selen.
In so einem Fall ist der Darm nicht mehr in der Lage ausreichend Vitamin B6 (aktiviert P5P) zu bilden. P5P ist der Cofaktor, der in der Leber notwendig ist, um Giftstoffe in einen wasserlöslichen Stoff umzubauen, um dann über z.B. die Niere ausgeschieden werden zu können.
Der Umbau von Giftstoffen in der Leber ist ein lebensnotwendiger Prozess.
Steht nun nicht genug P5P zur Verfügung, muss der Körper je nach der Art des zu entgiftenden Stoffes mit den Spurenelementen Mangan, Kupfer, Zink und Selen kompensieren.
Betroffene Pferde zeigen daher auch einen Mangel bei diesen Stoffen an.

Selen kommt in allen Pflanzen und Säugetieren vor

Ein gesundes Pferd hat nur einen verhältnismäßig geringen Bedarf an Selen und kann diesen problemlos über ausreichende Mengen Raufutter decken.

Bei einem tatsächlich gestiegenen Bedarf an Selen, durch zum Beispiel die genannten Punkte, oder bei laktierenden Stuten und Hochleistungs-Sportpferden, kann der gesteigerte Bedarf durch ein geeignetes Zusatzfutter ausgeglichen werden.
Ein hochwertiges Mineralfutter ist dafür in der Regel ausreichend.

Selen im Blut

Die Spanne zwischen optimaler Selenversorgung und Toxizität ist bei Pferden extrem gering.

Aus mehreren Gründen sollte man vorsichtig damit sein, dass Blutbild zur Bestimmung eines Selenmangels zu verwenden.

  • Die Grenzwerte für Selen im Blutbild wurden in den letzten Jahren angehoben.
    Außerdem sind die Werte nicht einheitlich definiert und können von Labor zu Labor abweichen.
    Die Werte schwanken so stark, dass ein Wert je nach Labor, bei einem noch im Grenzwert, beim anderen schon außerhalb des Normalbereichs liegt.

    Wer schon ein einige Jahre älteres Blutbild seines Pferdes hat, oder Blutbilder aus verschiedenen Laboren, kann das selbst einfach nachvollziehen.
    Aktuell werden die Laborgrenzwerte durchschnittlich mit ca. 100-200 µg/l (Mikrogramm pro Liter) definiert.

    In verschiedenen Studien wurden unterschiedliche Selenwerte gemessen.

    Selbst bei Pferden mit deutlich geringen Werten im Blut über einen längeren Zeitraum (z.B. bei KPU), konnten aber noch keine Mangelerscheinungen -verursacht durch Selenmangel- nachgewiesen werden.
AutorReferenzwerte
Ullrey (1987)80-120 µg/l
Meyer (1990)60-140 µg/l
Meyer (1990)60-80 µg/l
Puls (1994)140-250 µg/l
Dietz und Huskamp (2006)28-133 µg/l

*Quelle: Seminar Kinequin 2019
Siehe auch: Klinische Labordiagnostik in der Tiermedizin, Herausgeber Andreas Moritz

  • Selenwerte im Blut haben keinerlei Korrelation mit den Gewebewerten (anders als z.B. bei Zink oder Kupfer).
    Der Gewebewert ist bei der Bestimmung eines echten Mangels aber der entscheidende.

    Füttert man Selen, lagert der Körper zunächst so viel wie möglich von diesem zusätzlichen Selen im Gewebe ein. Das ist auch der Grund, weshalb sich die Selenwerte im Blut lange nicht sichtbar verändern.
    Unter anderem Leber und Niere und vor allem Hormondrüsen speichern Selen ein.
    Erst wenn das Gewebe die maximal mögliche Selenmenge aufgenommen hat, steigen die Blutwerte an.

Selenfütterung

Bis in die 80iger Jahre galt Selen im Pferdefutter als Gift

Bei der Zufütterung sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass Selen in anorganischer Form zugesetzt wird. Vom Körper nicht benötigte, überschüssige  Mengen können dann über Kot oder Urin wieder ausgeschieden werden.
Selen in organischer Form ist zwar deutlich höher bioverfügbar, überschüssige Mengen können aber nicht mehr ausgeschieden werden und lagern sich im Körper ab.
Hier kann schon eine kleine Menge für ein Pferd hochgiftig sein.
  

Echte gesundheitliche Probleme, ausgelöst durch einen Selenmangel, sind in unseren Breitengraden äußerst selten. Deutschland ist allgemein kein Selenmangelgebiet.

Viel häufiger sind Überversorgungen durch Selen bei Pferden spürbar.
Das liegt zum einen daran, dass Selen in den meisten Mischfuttern (Müslis, Pellets) bereits standardmäßig zugesetzt wird, zum anderen daran, dass Selen bewusst zugefüttert wird.

Subklinische Vergiftungserscheinungen durch Selen

Insulinresistenz und Selen

Zuckeraufnahme und -abbau in der Muskelzelle funktioniert in einem gesunden Zustand zusammengefasst wie folgt:

  1. Blutzuckerspiegel im Blut steigt an (durch Stärke/ Zucker im Futter)
  2. Aufgrund des steigenden Blutzuckerspiegels produziert die Bauspeicheldrüse mehr Insulin
  3. Insulin bindet an den Insulinrezeptor einer Muskelzelle
  4. Die Muskelzelle kann so Zucker aus dem Blut aufnehmen und in der Zelle zu Glycogen umbauen
  5. Wenn der Glycogenspeicher der Zelle voll ist, erfolgt eine Rückmeldung an den Insulinrezeptor, dass kein weiterer Zucker mehr aus dem Blut aufgenommen werden kann
  6. Durch Muskelarbeit wird Glycogen in der Muskelzelle wieder in Zucker gewandelt und abgebaut

Der Insulinrezeptor an der Muskelzelle kann dann bei Bedarf wieder Insulin anbinden und neuen Zucker aufnehmen.

Für die Rückkopplungskette in der Zelle ist Chrom der Cofaktor.

Wird der Körper nun mit Selen geflutet, reichert sich dieses auch in der Muskelzelle an, verdrängt dort das Chrom und reichert sich an dessen Stelle an.
Durch fehlendes Chrom, bzw. Selen an dessen Stelle, funktioniert der Rückkopplungsmechanismus in dieser Muskelzelle nicht mehr und der Insulinrezeptor bekommt unter anderem kein Signal mehr Insulin anzubinden um damit Zucker aus dem Blut aufnehmen zu können.
Muskelzellen werden Insulinresistent.

Um den Blutzuckerspiegel trotzdem zu regulieren, beginnt der Körper über die Leber Zucker umzubauen und einzulagern.


Merkmale für eine Insulinresistenz, ausgelöst durch Selen:
Übergewichtige (EMS) und/oder leistungsschwache Pferde.
Diese Pferde reagieren bei z.B. Hufrehe oder Übergewicht (EMS) positiv auf die Fütterung von Chromhefe. (Körper wird mit Chormhefe geflutet und Selen so wieder aus den Muskelzellen verdrängt)

Schilddrüse und Selen

Einfach zusammengefasst regelt die Schilddrüse unter anderem, wie viel der zugeführten Nährstoffe in Energie umgesetzt oder eingelagert werden.

Ablauf in Kurzfassung

  • Schilddrüse produziert Schilddrüsenhormone (inaktiv)
  • Dejodase ist Aktivator für Schilddrüsendhormone
  • Selen aktiviert Dejodase
  • Wird nun zusätzlich Selen zugeführt, wird mehr Dejodase aktiviert als notwendig ist und dadurch auch zu viele Schilddrüsenhorme aktiviert

Auf den ersten Blick würde man aus dem Blutbild eine „Schilddrüsenüberfunktion“ erkennen können.
Die Schilddrüse arbeitet aber völlig normal, er werden lediglich zu viele Schilddrüsenhormone aktiviert.

Pferd im Ruhezustand

  • Die Hypophyse ist der „Dirigent“ des Hormonhaushalts
  • Durch die zu hohe Anzahl an Schilddrüsenhormonen im Körper, wird nun der Überschuss vom Körper reguliert, indem die Hypophyse  die Produktion des Hormons Thyreotropin erhöht
  • Thyreotropin reduziert die Produktion von Schilddrüsenhormonen in der Schilddrüse
  • Die Leistung der Schilddrüse wird heruntergefahren. Der Körper stellt sich auf die geringere Produktion dauerhaft ein

Reduziert sich dann auch der Selenwert im Gewebe wieder, wird weniger Dejodase und damit noch weniger Schilddrüsenhormon als ohnehin schon aktiviert.

→ Schilddrüsenunterfunktion – Das Pferd wird schnell dick


Pferd im Stresszustand

  • Zusätzlich dazu, dass durch zu viel Selen zu viel Dejodase und damit zu viel Schilddrüsenhormone aktiviert wurden,
    bekommt der Körper durch Stress noch einmal zusätzlich ein Signal, dass noch mehr Energie benötigt wird
  • Für mehr Energie, werden noch mehr Schilddrüsenhormone benötigt
  • Wenn die Schilddrüse ihre maximal mögliche Produktion erreicht hat, aber immer noch mehr Energie benötigt wird (z.B. Dauerstress durch Schmerzen, Gruppenstress, usw.) muss  die Nebenniere dafür vermehrt Cortisol produzieren
  • Dazu wird von der Hpyophyse vermehrt ACTH produziert, um die Cortisolproduktion in der Nebenniere zu aktivieren.

→ Im Blutbild ist ein höherer ACTH Wert sichtbar

  • Für diese zusätzliche Energiegewinnung werden Eiweißzellen abgebaut. Wurde dem Körper übermäßig Selen zugeführt ist dieses auch in den Eiweißzellen eingelagert.
    Durch den Abbau der Eiweißzellen wird nun erneut Selen im Körper freigesetzt, was den Prozess der Schilddrüsenüberfunktion unterhält.

Schwefel und Selen

Selen verdrängt Schwefel.

Schwefel ist ein wesentlicher Bestandteil von vielen Aminosäureketten (z.B. Keratin)
Die stärksten Aminosäureverbindungen sind zum Beispiel in Horn, Haaren, Sehnen, Knorpeln usw. zu finden.

Wird das Gewebe nun mit Selen geflutet, zum Beispiel mit Zugabe einer Selenkur über mehrere Wochen, wird Schwefel in den Eiweißverbindungen durch Selen verdrängt.
Selen ist als Bindeglied in den Amminosäureketten aber nicht funktional und die Verbindungen werden instabil.

Merkmale am Pferd

  • stumpfes, brüchiges Fell
  • sprödes und gerissenes Hufhorn
  • Löcher in Knorpeln und Sehnen (werden instabil und verletzungsanfällig)


Schwefel ist außerdem ein wichtiger Bestandteil bei der Schleimstoffbildung. Pferde mit Selenvergiftung zeigen daher oft Symptome wie trockenen Husten und Überempfindlichkeit gegen Staub (Heustauballergie).

Eine Selenvergiftung zieht Monate- bis Jahrelange Folgen mit sich, da echter Selenabbau im Gewebe nur über Zellerneuerung erfolgen kann.